
23.08.2021 / Verfasser: Franziska Buchdunger
Gesetzlicher Zinssatz für Steuernachzahlungen und -erstattungen in Höhe von 6% ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig
Seit langem steht der für Steuernachzahlungen und Steuererstattungen geltende gesetzliche Zinssatz in der Kritik. Mit Beschluss vom 08.07.2021 (veröffentlicht am 18.08.2021) hat das Bundesverfassungsgericht nun festgestellt, dass die in §§ 233a i.V.m. 238 AO verankerte Verzinsung von 0,5% pro Monat, mithin 6% jährlich, für Zeiträume ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig ist.
Die typisierte Vollverzinsung betrifft Steuern, die erst nach Ablauf der zinsfreien Karenzzeit von 15 Monaten festgesetzt oder geändert werden. Hintergrund dieser Regelung ist der Ausgleich des fiktiven Zinsvorteils des Steuerpflichtigen im Fall der verspäteten Entrichtung einer Steuerschuld bzw. des fiktiven Zinsnachteils des Steuerpflichtigen im Fall der späteren Steuererstattung. Daher ist für die Verzinsung auch stets unerheblich, ob der Steuerpflichtige oder die Finanzverwaltung die Verzögerung zu verschulden hat.
Im Grundsatz soll damit eine Ungleichbehandlung der Steuerpflichtigen vermieden werden. Aufgrund des anhaltenden Niedrigzinsniveaus ist eine Verzinsung von 6% jedoch seit vielen Jahren fernab der Realität und der Höhe nach nicht mehr verhältnismäßig.
Anlässlich von Verfassungsbeschwerden zu Nachzahlungszinsen auf Gewerbesteuer bestätigte das Bundesverfassungsgericht nun zunächst das grundsätzliche Ziel der Vollverzinsung und die Berechtigung des Gesetzgebers zur Bestimmung eines typisierenden Zinssatzes. Der aktuell geltende Zinssatz von 0,5% pro Monat wurde im Rahmen des Steuerreformgesetzes 1990 eingeführt. Soweit die Höhe des Zinssatzes in etwa den Verhältnissen am Kapitalmarkt entsprach, war die Vollverzinsung auch verfassungsgemäß. Dies sei laut Bundesverfassungsgericht bis zum Jahr 2013 anzunehmen. Erst ab dem Jahr 2014 sei die nach der Finanzkrise im Jahr 2008 zu beobachtende Zinsentwicklung "von struktureller und nachhaltiger Natur" gewesen. Die Verzinsung nach §§ 233a i.V.m. 238 AO wurde demnach für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Die Frage, welche Zinshöhe als angemessen erachtet werden kann, bleibt allerdings offen.
Die Vorschrift soll jedoch aus haushaltswirtschaftlichen Gründen für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 weiter Anwendung finden. Für Zeiträume ab dem 1.1.2019 muss der Gesetzgeber nun - rückwirkend - eine Neuregelung treffen. Dafür hat das Bundesverfassungsgericht eine Frist bis zum 31.07.2022 gesetzt.
Die Anpassung des Zinssatzes ist insbesondere in Hinblick
auf die im Rahmen einer Betriebsprüfung anfallenden Nachzahlungszinsen sehr zu
begrüßen. Zinsfestsetzungen auf Steuernachforderungen ab dem Jahr 2019 sind
offen zu halten, sofern die Festsetzung nicht bereits vorläufig ist.
Bei Erstattungszinsen sollte man sich hingegen auf die Vertrauensschutzregelung
des § 176 AO berufen.
Franziska Buchdunger
Steuerberaterin